Chanukka 5780
בס''ד
In der dunkelsten Zeit des Jahres, immer dann wenn die Nächte extrem lang und die Tage sehr kurz sind, feiern alle Juden weltweit, von Groß bis Klein das jüdische Lichterfest – Chanukka.
Und jedes Mal steht man vor seiner Chanukkia – dem Chanukkaleuchter – und überlegt sich „Wie war das nochmal? Wie rum soll ich die Lichter anzünden?“
Und obwohl die technischen Aspekte, was die Lichter angeht, von Jahr zu Jahr in Vergessenheit geraten und jedes Mal aufs Neue gelernt oder beim Rabbiner nachgefragt werden müssen, haben sich die Chanukka-Geschichten in unser Bewusstsein stark eingeprägt.
Aus der Überlieferung wissen wir, dass nach dem Sieg über die Griechen und der Erlangung der Unabhängigkeit die Juden wieder die Thora-Gebote frei ausleben konnten. Der Tempel wurde neu eingeweiht und die Menora sollte wieder – gemäß der Tradition – ihr Licht spenden. Durch ein Wunder fanden die Makkabäer einen versiegelten Krug mit reinem Öl für den Leuchter und obwohl die Menge des Öls nur für einen Tag bestimmt war – brannten die Lichter der Menora ganze acht Tage lang, bis das neue reine Öl hergestellt und zum Jerusalemer Tempel gebracht werden konnte. Die lange Brenndauer der Lichter ist das letzte Wunder in der Liste aller Wunder in diesem Zusammenhang. Das erste Wunder war, dass das jüdische Volk sich gegen das Böse auflehnte und nach Freiheit und Gerechtigkeit strebte, obwohl die Chancen auf den Sieg gegen die Griechen sehr minimal (fast null) waren.
Doch für diesen Sieg hat das jüdische Volk sehr teuer bezahlen müssen.
Der Talmud offenbart uns, dass die Chanukka-Feierlichkeiten, wie wir sie kennen, erst ein Jahr nach dem Sieg von unseren Weisen in die jüdische Tradition eingeführt wurden. Und so steht es im Traktat Schabbat 21b geschrieben: „Im folgenden Jahre bestimmte man, diese Tage mit Lob- und Dankliedern als Festtage zu feiern.“ Auf die Frage, warum nicht noch im selben Jahr gefeiert und gesungen wurde, antworten unsere Weisen, dass die Menschen am Tag des Sieges tiefe Trauer nach getöteten, gefallenen und verschollenen Familienangehörigen hielten. Und weil die Trauer maximal ein Jahr lang dauert, wurden die Feierlichkeiten dementsprechend erst im Jahr danach bestimmt.
Alle Geschichten über Chanukka sind schön und fast märchenhaft, Geschichten in denen das Gute das Böse besiegt und die Dunkelheit dem Licht weicht. Eine Geschichte aber kennen nicht viele, da sie so schrecklich ist. Es ist die Geschichte über Chana und ihre sieben Söhne. Im Talmud Gittin 57b werden die Begebenheiten ausführlich beschrieben. Als der Kaiser dem ältesten Sohn befahl einen Götzen anzubeten, ließ er ihn vor den Augen der Mutter und der jüngeren Brüder töten, weil dieser sich geweigert hat. Und so verfuhr der Kaiser nach und nach mit jedem Sohn der Frau. Als der Siebte und Jüngste an der Reihe war, schlug ihm der Kaiser vor, er würde seinen Siegelring vor das Kind hinwerfen, der Junge sollte sich bücken und den Ring aufheben, so würde das Kind sich nicht vor dem Götzen verbeugen, sondern lediglich den Ring aufheben und sich so vor dem Tod retten. Der Junge verweigerte auch diesen Vorschlag, denn es würde nach außen so aussehen, als würde er sich vor dem Götzen verbeugen, daraufhin wurde das Kind auf Befehl des Kaisers bestialisch ermordet. Als die Mutter das alles mitansehen musste, stieg sie auf ein Dach und stürzte sich hinab und starb. Wie konnte man das Chanukka-Wunder feiern, wenn doch jede Familie ihre Toten zu beklagen hatte. Und das ist nur eine von vielen weiteren Geschichten der damaligen Zeit.
Die Griechen haben es dem Volk Israel verwehrt die Gebote zu erfüllen und nach der Tradition zu leben. Stets fühlten sie sich an jüdischen Attributen gestört und erließen für die Juden weitere Verbote jüdisch zu sein, die Nichteinhaltung wurde mit dem Tod bestraft.
Unwillkürlich denke ich persönlich jedes Jahr beim Anzünden der Chanukka-Lichter an die Geschichte von Chana und ihren Söhnen. Nach und nach füge ich jeden Abend eine zusätzliche Kerze an meinem Leuchter hinzu und frage mich ob es ein Zufall ist, dass in der letzten Nacht 8 Kerzen brennen – wie 8 Gedenklichter für 8 Seelen, die symbolisch für alle Opfer der Tyrannei stehen.
Auch heute verzeichnen wir vermehrt Übergriffe auf Juden. Es wird uns der Tod nicht nur gewünscht, sondern, wie wir es am diesjährigen Jom Kippur gesehen haben, werden die Mordanschläge auch geplant und ausgeführt. Bundesweit sehen wir wie es Menschen gibt, die sich durch eine Kippa gestört fühlen und den Kippaträger bestenfalls verbal oft auch physisch attackieren. Früher hat man die jüdischen Friedhöfe geschändet, dann ging es in Beschimpfungen von jüdischen Menschen auf der Straße über, heute werden Synagogen mit Gewehren gestürmt, um Juden zu töten.
Auch an Jom Kippur, fast wie an Chanukka, gab es ein Wunder – die Synagogentür hat gehalten, nur so konnte der Mörder seinen schrecklichen Plan nicht verwirklichen. Und doch veranstalten wir keine Feier, denn genau wie damals haben wir unschuldige Tote zu beklagen und trauern mit den Angehörigen.
Doch unsere Antwort auf den steigenden Antisemitismus finden wir in den Chanukka-Vorschriften. Die Rabbanan lehrten in Schabbat 21b: „Es ist ein Gebot den Chanukkaleuchter draußen hinzustellen, wer in einem Obergeschoß wohnt – stelle ihn ins Fenster zur Straße hin.“ Wir verstecken uns nicht, sondern leben unser Judentum stolz und offen weiter. Es ist nicht nur unser Recht, sondern ein Gebot!
Baruch Babaev, Gemeinderabbiner
der Jüdischen Kultusgemeinde Groß-Dortmund